Community of Practice (2018)
Komponieren in Referenzsystemen
<a href= âIch sende, also bin ich. Ich bin nicht existentiell, ich bin performativ – Ich performe, also existiere ich. Unsichtbarkeit bedeutet das Nicht-Vorhandensein in dieser Welt. So bin ich sichtbar, unbedingt partizipativ, nachvollziehbar ĂŒber mein zugĂ€ngliches Archiv, mein Körper als Laufbursche in dem von mir kreierten Modell, statt Mut zum Körper als BĂŒhne entwickle ich KalkĂŒl in der Konstruktion meines Abbilds, aber den Körper brauche ich natĂŒrlich auch, der Körper macht das alles âechtâ, willkommen in meinem Netzwerk ICH, in meinem Medium der radikalen MittelmĂ€Ăigkeit, willkommen in der Performanz meiner Idee.â</a>
#1 Kultur der DigitalitÀt// I will start on Jupiter tonight
Wenn wir davon ausgehen, dass wir in einer Kultur der DigitalitĂ€t leben, deren Verhandlungsraum die Durchdringung der physischen, geistigen und virtuellen Welt ist, dann befinden wir uns inmitten von nichtlinearen RĂŒckkopplungsprozessen zwischen diesen RĂ€umen. Wir mĂŒssen also davon ausgehen, dass Entwicklungen vielleicht chaotisch, mit Sicherheit unkontrolliert und in jedem Fall reziprok stattfinden.
An dieser Stelle beginnen die hier geĂ€uĂerten Gedanken. Es sind Angebote, Möglichkeiten fĂŒr eine kĂŒnstlerische und musikalische Auseinandersetzung in Anbetracht einer selektiven, in keinem Fall vollstĂ€ndigen und in jedem Fall referentiellen Betrachtungsweise unserer digitalen Gegenwart.
#2 Digitale Revolution // You really think you’re in control?
Wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution, mitten im gröĂten technischen Fortschritt der Geschichte, der zwangslĂ€ufig neue LebensrealitĂ€ten schafft. Wir befinden uns mitten in den Diskursen darĂŒber, ob wir mit der digitalen Revolution Demokratie etablieren können oder Rechtsextremismus und Populismus in allen möglichen Erscheinungsformen fördern. Wir nehmen an der digitalen Welt teil, optimieren, organisieren, unterhalten und bilden uns, verstecken uns im Deckmantel der AnonymitĂ€t, leben Fantasien aus oder arbeiten mit ihr â wohlwissend, dass jede AktivitĂ€t unser digitales Datenabbild ein StĂŒck weit mehr vervollstĂ€ndigt, unsere Cookie-Leichen als Cyberzombies erwachen und unsere IdentitĂ€t auf dem Datenmarkt (und vielleicht nicht nur dort) verschachern. Der Aufwand, dem Netz zu sagen, was es nicht tun soll und die Bequemlichkeit der schnellen Teilhabe stehen in keinem VerhĂ€ltnis zueinander. KreativitĂ€t und Selbstverwirklichung werden mittlerweile als VerfĂŒgbarkeiten deklariert und an oberster Stelle gehandelt, wenn es um den Vergleich sozialer Positionen und die ErschlieĂung neuer MĂ€rkte geht.[1] Die digitale Revolution konfrontiert uns mit einer noch nicht dagewesenen Vehemenz mit BedĂŒrfnissen, die wir haben und jenen, die wir haben sollen.
#3 AI & Algorithmen // Plug it, play it, burn it, rip it, view it, code it, jam, unlock it!
Wir vertrauen Algorithmen nicht nur Sortierungs- und Auswertungsaufgaben an, sondern ĂŒbergeben ihnen immer mehr Kontrolle ĂŒber unser Handeln, Lieben, Wirtschaften und unsere KreativitĂ€t. Wir entwickeln sie zu eigenstĂ€ndigen Wesen, die auch im Kunstbereich schon lĂ€ngst nicht mehr nur etwas kopieren, sondern beginnen, selbst zu produzieren. AI (Artificial Intelligence) wird zum derzeitigen Stand der technologischen Möglichkeiten ĂŒber Generative Adversarial Networks (GANs) zum selbstĂ€ndigen Denken fĂŒr die Produktion von âKunstâ programmiert. Fotorealistische Bilder, 3D-Modelle oder Bewegtbilder wie auch Musik können dabei ĂŒber das Kopieren bestehender kĂŒnstlerischer Stile, wie auch ĂŒber das neue Erlernen von âkĂŒnstlerischen Parameternâ erzeugt werden. Bekannte Beispiele aus der Musik sind die Software âAmperâ (âan artificial intelligence composer, performer, and producer that empowers you to instantly create and customize original music for your contentâ) oder der 2010 an der UniversitĂ€t MĂĄlaga entwickelte Computer Cluster âIamusâ (Komposition von Orchesterwerken mit fraktalen Strukturen). Walter Benjamins Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit könnte infolgedessen mit der Bedeutung von Kunst im Zeitalter ihrer technischen Selbsterschaffung fortgefĂŒhrt werden. Wenn ein GAN OrchesterstĂŒcke oder in einigen Jahren transmediale BĂŒhnenperformances konzipiert, dann sollten wir KomponistInnen uns fragen, wie wir unsere Rolle als âSchaffendeâ einnehmen wollen, wie wir OriginalitĂ€t definieren. Wir können uns mit AI verbinden und Teams bilden, wir können in den Wettbewerb treten und einen neuen Schöpfergenius schaffen, indem wir beginnen zu programmieren. Wir können uns mittels AI Avatare schaffen und anstelle von StĂŒcken IdentitĂ€ten erfinden. Wir können die Bedeutung âSchaffenâ verschieben, Musik, AI und andere Kunstformen auf einer Metaebene âzusammenstellenâ und in Wechselwirkung treten lassen, wodurch das Referenzsystem eine neue Wertigkeit bekommt. Betrachten wir jedoch die Parameter, denen AI fĂŒr die âKunstproduktionâ folgen, mĂŒssen wir uns in jedem Fall warm anziehen:
âDie bedeutendsten, die Erregung steigernden Merkmale der Ăsthetik sind Neuheit, Ăberraschung, KomplexitĂ€t, Unklarheit und RĂ€tselhaftigkeit. Diese Eigenschaften dĂŒrfen allerdings nur zu einem moderaten Level eintreten und nicht ins Extreme gehen. Zu wenig [von diesen Eigenschaften] wird als langweilig eingestuft – KĂŒnstliche Intelligenz muss Kunst schaffen, die originell ist, aber nicht zu originell.â [2] AI ist somit der Inbegriff kreativer Gentrifizierung â einverleiben kann sie sich im Prinzip alles, selbst Nietzsches KreativitĂ€tskriterium, âman muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebĂ€ren zu könnenâ kann mittels eines Codes definiert sein. Was machen wir denn nun mit dem KreativitĂ€tsbegriff?
Donalds Winnicotts Beschreibung von KreativitĂ€t als âdie Tönung der gesamten Haltung gegenĂŒber der Ă€uĂeren RealitĂ€tâ[3] wirft eine neue Frage auf, nĂ€mlich ob âHaltungâ nicht auch als ein Resultat aus Erfahrungen lernbar ist. Weiter sagt er jedoch: âMehr als alles andere ist es die kreative Wahrnehmung, die dem Einzelnen das GefĂŒhl gibt, dass das Leben lebenswert ist.â Kann eine Ansammlung von Codes uns vermitteln, dass unser Leben lebenswert ist? Kann sie uns ein âGefĂŒhlâ geben? An diesem Punkt bekommt interessanterweise etwas eine Bedeutung, dem im Schaffensprozess (nicht in der Rezeption) innerhalb der Neuen Musik immer etwas â ich nenne es mal – Ekel anhaftete: EmotionalitĂ€t. GefĂŒhle. Sex. Wir können uns damit auf dieser Ebene auseinandersetzen. Wir können aber auch einfach den Strom abdrehen.
#4 Information als hypothetische Behauptung // Let your mind control whats real
Wir wissen um die Macht der Bilder, wenn wir mit unseren Selektions- und Effizienzstrategien Informationen scannen oder teilen und sowohl Sprache wie Musik als Timeline-orientierte Kommunikationsformen unser Tempo limitieren. Wir wissen um die Resonanzprinzipien der Bewegtbilder, wenn wir uns die Aufmerksamkeit der anderen wĂŒnschen (optimale Dauer von Teasern und Trailern fĂŒr Konzerte oder neue StĂŒcke bei Facebook: 60-90 Sekunden, unter 30 Sekunden: ResonanzschwĂ€che; Live-Videos: ab 15 Minuten Erreichung einer gröĂeren Zuhörerschaft).
Wir haben uns darauf geeinigt, dass DigitalitĂ€t eine hypothetische RealitĂ€t ist: kann sein, kann auch nicht sein. Wir sortieren Informationen nach vertrauenswĂŒrdigeren oder zweifelhaften Kontexten, wodurch eine Verschiebung vom Inhalt einer Information hin zur Bedeutung einer hypothetischen Behauptung in einem spezifischen Umfeld geschieht.
Die immer bestehende Möglichkeit des Fakes zwingt uns dazu, nicht aus einem Vertrauen heraus zu handeln, sondern aus einer MutmaĂung. (Der Begriff MutmaĂung ist hier bewusst anstelle von Misstrauen zu verwenden, da Misstrauen nur das Verhandlungsfeld Vertrauen-Misstrauen eröffnet, MutmaĂung hingegen schon die Akzeptanz von RealitĂ€t als These impliziert.) Das bedeutet, dass unsere Leistung nicht nur in der Rezeption einer Information/hypothetischen Behauptung liegt, sondern im Schaffen von ZusammenhĂ€ngen, von Referenzsystemen.
#5 Fake und subjektive Ăberzeugungen // …the answer isnât for us
MutmaĂung als Folge eines Kontrollverlustes in der Rezeption digitaler Informationen und die positive Umkehrung, d.h. die Interpretation unseres Selbst mittels kontrollierter Inszenierung begrĂŒnden das Spielfeld Fake und Reality. Komponisten wie Michael Beil begreifen dies als Zentrum der kompositorischen Auseinandersetzung (z.B. âExit to Enterâ, âBlack Jackâ, âSugar Waterâ) oder als Themenfeld in der Auseinandersetzung mit MedialitĂ€t, wie in den Arbeiten von Simon Steen Andersens (z.B. âInszenierte Nachtâ), Alexander Schuberts (z.B. âBlack Mirrorâ) oder meiner âPublic Privacyâ-Reihe, wie auch â#AsPresentAsPossibleâ und hĂ€lt ĂŒberdies auch in Festival-Themen oder Konzertprogrammen Einzug.
Wenn das Wechselspiel von Fake und Reality aber bereits akzeptierte Setzung fĂŒr den Umgang mit DigitalitĂ€t und Digitaler Kultur ist, dann bedeutet das, dass ein konkreter Kontext, ein spezifisches Referenzsystem und die konkrete Bedeutungsverschiebung im Mittelpunkt stehen können und nicht die GegenĂŒberstellung des Realen und des Fiktiven. Dass das Arbeiten mit Bedeutungen Musik immer als Teil einer wie auch immer gestalteten Inszenierung begreift, ist hier nicht Begleiterscheinung, sondern dezidiert Voraussetzung. Interessant wird es an dieser Stelle dann, wenn der essentielle Zustand des Kontrollverlustes oder des Kontrollierens nicht erzeugt, sondern Voraussetzung fĂŒr die Performanz einer Idee wird. Dabei können Rollenzuweisungen in StĂŒcken verhandelt und subjektive Ăberzeugungen (âInterpretInâ, âPerformerInâ und âRezipientInâ) gezielt manipuliert, vertauscht oder permutiert werden.
#6 Existenz und Performanz // … it’s just me, myself and I
In Anlehnung an Gregory Batesons Definition von âInformationâ, beschreibt Felix Stalder den ĂŒber die Information generierten Wert als den âUnterschied, der den Unterschied im Strom der Gleichwertigkeit und Bedeutungslosigkeit macht.â[4]
Die Priorisierung unserer Zeit, die Fokussierung unserer Aufmerksamkeit auf etwas Konkretes und die bewusste Selektion â begreifen wir als produktive Leistung unter Einsatz einer nicht vervielfĂ€ltigbaren und begrenzten Ressource, unserer Lebenszeit.
Im Netz existieren wir erst einmal nicht, wir sind per se unsichtbar und können Sichtbarkeit nur durch Performanz kreieren, durch das aktive Einschreiben in die Welt.
Aus âesseâ wird âinter-esseâ, IdentitĂ€t wird zum Medium, âzur Schnittstelle zwischen virtuellen Erscheinungsformen eines Körpers und seinen potenziellen sozialen Rollen und Funktionen.â[5]
Nicht nur ĂŒber das Generieren von Inhalten geben wir uns eine Bedeutung, sondern ĂŒber das Generieren von Performanz. In dieser Inszenierungsspirale ist es nicht erstaunlich, dass 30 Prozent der jungen Menschen das BerĂŒhmtwerden als explizites Lebensziel definieren (vor 10 Jahren waren es 14 Prozent).[6] Man kann diese neue, in der DigitalitĂ€t geltende Wechselwirkung zwischen âseinâ und âperformenâ nicht abgelöst von dem gegenwĂ€rtigen Trend der Selbstoptimierung und Selbstmaximierung betrachten, ebenso wenig wie von der kapitalistisch motivierten Degradierung der KreativitĂ€t zur zweiten Natur des Menschen. [7]
#7 Performanz und Community // …If I have things you need to borrow…
Gleichzeitig evoziert die Digitale Revolution die Herausbildung neuer Gemeinschaftsmodelle im Spannungsfeld von SingularitĂ€t und DiversitĂ€t, deren Funktionsprinzipien innerhalb und auĂerhalb der Netzwelt ihre Wirksamkeit beweisen. Wir bilden zwischen Arbeit, Freizeit, Interesse und BedĂŒrfnis anonym oder mittels unserer IdentitĂ€t Online-Communities auf allen erdenklichen Online-Plattformen. Wir kreieren neue Communities, indem wir unser Wissen und unsere Interessen im Netz teilen. Wir initiieren bewusst Gemeinschaften auf digitalen Plattformen fĂŒr die physische Zusammenkunft und ĂŒbersetzen netzinhĂ€rente Dynamiken von Gruppenbildung auf Organisationsstrukturen von Kollektiven in der Arbeitswelt. In der von Jean Lave und Ătienne Wenger definierten Gemeinschaftsform Community of Practice[8] manifest sich, dass es weniger die homogenen Gemeinschaften sind, die sich heute herausbilden als jene, in denen die Produktion von Differenz und Gemeinsamkeit gleichzeitig stattfindet.[9]
Die Community of Practice ist als Gemeinschaftsmodell deshalb so spannend, weil sie ein dynamisches Praxisfeld beschreibt, an dessen Konstituierung alle Mitglieder beteiligt sind und demnach der gemeinsame Wissenserwerb, sowie der Austausch von Fertigkeiten, materiellen und sozialen Ressourcen und vor allem die gemeinsame reflexive Interpretation der eigenen Praxis im Vordergrund stehen. AutoritĂ€t ist an das Wissens- und Erfahrungsniveau geknĂŒpft und demnach ungleich verteilt, hĂ€ngt sie doch an der EinschĂ€tzung der eigenen FĂ€higkeiten und jener der anderen ab. Wenn wir davon ausgehen, dass ReferentialitĂ€t in der kompositorischen Arbeit die Schnittstelle fĂŒr einen neuen Kompositionsbegriff darstellt, dann könnte die Community of Practice das dazugehörige Gemeinschaftsmodell fĂŒr eine Dialektik von Kreation und Interpretation sein.
#8 Referenzsysteme // …If you don’t use it, you’ll lose it
Als Digital Natives oder Digital Immigrants sind wir Zeugen davon, wie sich durch neue Technologien unser Kommunikationsverhalten verÀndert und wir je nach Plattform spezifische Umgangsformen, Codes und Normen etablieren. Wir kennen mittlerweile Hasstiraden, Fake-News, Shit- und Candystorms, Tutorials, Blogs, Viral-, Unboxing- und Haul-Videos. Wir arbeiten in und mit Kommunikationshybriden, wie intermediale Plattformen, Clouds, synchronisierte Hard- und Software, deren Vorbild nichts Geringeres als das menschliche Gehirn mit seiner Vernetzungs- und AssoziationsfÀhigkeit von Informationen ist. Wir verweisen, teilen, liken und swipen, schaffen Bedeutung und konstituieren damit unser Dasein ebenso wie unser Archiv. Die digitale Revolution katalysiert das unentwegte Generieren von Referenzsystemen, in denen kulturelle, historische, politische und soziale Gegebenheiten in Beziehung gesetzt und Bedeutungen addiert werden.
Das Wort âreferreâ bedeutet âzurĂŒcktragenâ oder âzurĂŒckbringenâ mit dem impliziten Sinn von âin die Gegenwart bringenâ, âvergegenwĂ€rtigenâ oder âberichtenâ â im Zeitalter der DigitĂ€litĂ€t, in der wir viele Dinge durch das Netz ĂŒberhaupt erst erfahren bevor wir ihnen in der RealitĂ€t begegnen, stellt sich die Frage nach Zeitlichkeit und Plattform einer Referenz neu. Wir ĂŒbertragen reale Gegebenheiten ins Netz und umgekehrt, weil wir das Ineinandergreifen des RealitĂ€ts-VirtualitĂ€tskontinuums lĂ€ngst als eine Einheit begreifen.
Die dabei entstehenden Kommunikationsformen können wir kompositorisch nutzen, ihre Strukturen ĂŒbersetzen und das Zusammenspiel von Publikum, Performer, Partizipation und Raum neu denken. All diese Kommunikationsformen werden sich kontinuierlich mit der Entwicklung der Technologien transformieren und weiterentwickeln, einige werden verschwinden, andere neu hinzukommen, wired and tired. Ganz gleich, ob anhand von Social Composing oder Reenactments, Mashups, Sampling, Story telling und Found Footage Collagen, anhand von trans- inter- oder multimedialen Settings der Verhandlungsspielraum definiert wird – es ist das Arbeiten in und mit Referenzsystemen, das zum âvorherrschenden produktionsĂ€sthetischen Modell in der zeitgenössischen Kunst geworden istâ[10] und das durch die digitale Revolution eine neue Dimension erfĂ€hrt.
#9 Referenzsysteme & Community // …Racket, bang, thump, Rattle, clang, crack, thud, It’s music, Now dance
In der neuen Musik findet seit vielen Jahren eine kontinuierliche Entwicklung hin zu transmedialen, digitalen, theatralen und performativen Produktionsformen statt â Formen, die ReferentialitĂ€t in einem musikalischen Kontext ĂŒberhaupt erst ermöglichen. Parallel dazu verĂ€ndern sich auch Arbeitsweise, ProbenablĂ€ufe und Produktionsprozesse, was zwangslĂ€ufig auch zu Neukonfigurationen in der Infrastruktur und Zielsetzungen von Ensembles fĂŒhrt. Vergleicht man die oben beschriebene Community of Practice mit der Tatsache, dass nicht nur Klangregisseure, sondern immer hĂ€ufiger auch Videotechniker, Schauspieler, Regisseure oder Performer feste Ensemblemitglieder sind oder fĂŒr Probenprozesse hinzugezogen werden – sofern die Musiker nicht schon selbst ihre performativen QualitĂ€ten ausbauen[11] – kann man die âProduktion von Differenzâ mit den unterschiedlichen FĂ€higkeiten der Mitglieder gleichsetzen. An dem Punkt der âreflexiven Interpretationâ der Community of Practice kann sich gerade fĂŒr den Schaffensprozess noch etwas Grundlegendes verĂ€ndern: Wenn man Interpretation und Kreation als dialektische Einheit begreift entsteht die Notwendigkeit der VerĂ€nderung von Arbeitsprozessen im Komponieren.
Nicht ohne Grund sind es die flexiblen kammermusikalischen und die ohnehin spartenverbindenden musiktheatralen Formate, in denen die sich heute am stĂ€rksten strukturelle VerĂ€nderungen in Produktionsprozess und somit auch in den entstehenden Arbeiten Ă€uĂern. Das musikalisch motivierte Referenzsystem als Forschungsgegenstand fĂŒr die kĂŒnstlerische Auseinandersetzung mit Kreation und Interpretation als symbiotisches Modell bietet hier KĂŒnstlerInnen wie Ensembles und Institutionen ungemein viele Möglichkeiten der Entfaltung und Profilierung. Ein Neudenken des Zusammenspiels auf kĂŒnstlerischer und struktureller Ebene gepaart mit der Deklaration, dass IntermedialitĂ€t, Performance und Elektronik ebenso selbstverstĂ€ndlich und als unabdingbare Grundvoraussetzung fĂŒr eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart in der AuffĂŒhrungspraxis der zeitgenössischen Musik verankert werden wĂŒrde in sehr kurzer Zeit das musikalische Schaffen radikal verĂ€ndern.
#10 Statement // Isn’t the ending so much as the start
Das Leben und Ăberleben, Schaffen und Kommunizieren innerhalb dieser Referenzsysteme erfordert etwas, das als Keimzelle aller VerĂ€nderungen der digitalen Revolution fungiert: Es sind die Bedeutungsverschiebungen von Werten und Wertigkeiten, die aus den VerĂ€nderungen der Disposition von Individuum und Gemeinschaft, von SingularitĂ€t und DiversitĂ€t entstehen.
Die Notwendigkeit der Sichtbarmachung des Individuums, d.h. im ĂŒbertragenen Sinne einer kompositorischen Haltung, einer Sichtbarmachung des kĂŒnstlerischen Apparates und der kĂŒnstlerischen Idee und insbesondere der Sichtbarmachung des Dialogs mit dem rezipierenden Subjekt sind essentiell. In dieser Sichtbarmachung können wir endlich das Erleben von Gemeinschaftlichkeit und ihren Diskursen thematisieren.
In dieser Sichtbarmachung entscheidet sich, ob die Kommunikation gelingt oder scheitert, ob im Strom der Bedeutungslosigkeit und Gleichwertigkeit ein Unterschied gemacht werden kann.
#headlines:
1. Careful, where you hide; Asthmaboy
2. Crazy; Gnarles Barkley
3. Pentatonix; Daft Punk
4. Fake or Real; Robot
5. So sorry; Feist
6. Me, Myself and I; G-Eazy x Bebe Rexha
7. Lean on me; Bill Withers
8. Use it or lose it; Vitalic
9. Cvalda; Björk
10. Let it die, Feist
[1] Brigitta Muntendorf & Michael Höppner: Kastriert Kapitalismus KreativitĂ€t? in ânmzâ, 10/2017 anlĂ€sslich der Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats zum Thema âWieviel Ăkonomie braucht die Musik?â
[2] Ahmed Elgammal, wissenschaftlicher Leiter der Studie âArt & AI Laboratoryâ der Rutgers UniversitĂ€t in New Jersey zusammen mit âFacebooks Artificial Intelligence Labâ, veröffentlicht im MIT Technology Review Magazin.
[3] Donald Winnicott, Vom Spiel zur KreativitÀt. S. 78, Klett Cotta, Stuttgart 2006
[4] Felix Stalder, Kultur der DigitalitÀt, S. 118 ff, Edition Suhrkamp, Berlin 2016
[5] Andreas Broeckmann: Sieben Exkurse zu den medialen KĂŒnsten. In: Mediale Kunst ZĂŒrich, Jahrbuch 1, ZĂŒrcher Hochschule der KĂŒnste, S.65 ff., ZĂŒrich 2007
[6] Lönneker & Imdahl rheingold salon im Auftrag des IKW â Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V., 1.000 Befragte zwischen 14 und 21 Jahren im reprĂ€sentativen Online-Panel (2017).
[7] Siehe FuĂnote 1
[8] Etienne Wenger, âCultivating Communities of Practice: A Guide to Managing Knowledgeâ, Harvard Business School Press, Boston 2009
[9] Jeremy Gilbert, âDemocracy and Collectivity in an Age of Individualismâ, 2013, Pluto Books, London
[10] AndrĂ© Rottmann, âA Conversation with AndrĂ© Rottmann and John Knight.â Dezember 2011, Los Angeles, in: John Knight, a work in situ, Frankfurt am Main: Portikus 2013
[11] Beispiele: Oper Lab Berlin, Ensemble Garage, Mosaik, Electronic ID oder Decoder Ensemble oder Frauke Aulbert, Julia Mihaly, Brigitta Muntendorf, Carola Schaal, Jagoda Szmytka, Malgorzata Walentynowicz